Winkelfehlsichtigkeit (R)

Ähnlich wie bei den Händen, übernimmt ein Auge die dominante Führungsrolle. Es fixiert das Objekt der Aufmerksamkeit, während sich beim Begleitauge kleinere bis größere Fixierrichtungsabweichungen zeigen. Interessanterweise beobachten wir bei ca. 40% unserer Kunden, bezüglich Händigkeit und Sehen, eine unterschiedliche Dominanz. So kann ein typischer Rechtshänder ein linkes Führungsauge besitzen.

Die zentralen Seheindrücke von beiden Augen werden zuerst in den zugehörigen Gehirnhälften separat aufbereitet. Die Bilder treffen schließlich im visuellen Sehzentrum, am Hinterkopf liegend, ein. Passen die monokularen Bilder (je von einem Auge herkommend), bezüglich Schärfe und Fixierrichtung zusammen, dann werden die Einzelbilder zu einem Gesamtbild (binokular) verschmolzen.

Besitzen die beiden Augen jedoch unterschiedliche Fixierrichtungen, dann hat das Gehirn ein Problem. Sofort werden Impulse an die Augenmuskeln gesandt, um die Fixierrichtungen anzugleichen. Dieser Vorgang wird als motorische Kompensation bezeichnet.

Die je sechs Augenmuskeln werden von drei paarigen Sehnervenkernen gesteuert. Diese Kerne befinden sich im Hirnstamm und erhalten aus unterschiedlichen Gehirnarealen bis zu 500 Impulse in jeder Sekunde. Die Augenmuskeln sind permanent und hochfrequent in Bewegung. Mit unserem modernen Eyetrackern lässt sich dies sehr anschaulich grafisch demonstrieren.

Die durch eine Winkelfehlsichtigkeit verursachte permanente Nachjustierung ist äußerst energieaufwendig und verbraucht verständlicherweise viele „Recheneinheiten“ des Gehirns.

Motorische Kompensationen, also Ausgleichsbewegungen durch Muskelanstrengungen, können je nach Intensität typische Sehanstrengungsbeschwerden auslösen. Dazu gehören u.a. Kopfschmerzen im Augenbereich. Weicht das Begleitauge etwa nach innen ab zeigen sich oft gerötete und brennende Augen. Vertikale Abweichungen dagegen werden durch eine schiefe Kopfhaltung ausgeglichen. Diese sogenannte Kopfzwangshaltung, verursacht früher oder später Nackenschmerzen.

Um die vermehrte Muskelanstrengung zu reduzieren, kann das Gehirn zusätzlich einen neuronalen Angleich vornehmen. Dies übernehmen disparationsempfindliche Nervenzellen. Die zentrale Aufgabe dieser Zellen ist es, die zweidimensionalen Netzhautbilder unserer Umwelt, in ein räumliches Sehen umzuwandeln. Dabei wird der Abbildungsversatz der beiden Augen zueinander verglichen und in eine räumliche Komponente umgerechnet. Bei unterschiedlichen Fixierrichtungen der Augen, also einer Winkelfehlsichtigkeit, vergrößern disparate Nervenzellen – vereinfacht ausgedrückt – den Bereich der Felder die miteinander kommunizieren können.

Zur Erklärung ein kurzer Ausflug zur Netzhaut. Die Netzhautstelle des schärfsten Sehens wird Fovea genannt. Sie ist mit einem Durchmesser von 1,5mm recht klein. In ihr befinden sich Millionen von Zäpfchen. Diese Sinnesrezeptoren wandeln Lichtimpulse in kleinste elektrische Ströme um.

Inmitten der Fovea befindet sich die Foveola. Jeder Rezeptor inmitten dieses Zentrums besitzt eine eigene Nervenfaser, die die Informationen weiterleitet. Zum Rand hin sind mehrere Rezeptoren zu kleinen Feldern verbunden. Die Gesamtinformationen jedes Feldes werden wiederum auf eine Nervenfaser gekoppelt. Je peripherer sich die Rezeptoren befinden, umso größer werden die rezeptorischen Felder.

Der Sehnerv bündelt die einzelnen Nervenfasern, die elektrischen Impulse werden zum Sehzentrum weitergeleitet. Hier werden die Bilder der Netzhaut retinotop, das bedeutet den Größenverhältnissen der Fovea entsprechend, projiziert. Jedes projizierte Rezeptorfeld des rechten Auges, steht in Kontakt zu einem zugeordneten Partnerfeld des linken Auges. Diese beiden Felder können vereinfacht ausgedrückt miteinander kommunizieren.

Die Berechnung der räumlichen Tiefe ist die eigentliche Aufgabe von disparationsempfindlichen Nervenzellen. Bei einer Winkelfehlsichtigkeit ermöglichen sie es darüber hinaus, dass sich auch rezeptorische Felder, die viel weiter auseinander liegen, miteinander kommunizieren können. Die Wirkungsfähigkeit des sensorischen Angleichens festigt sich über einen längeren Zeitraum. Schnelligkeit und Qualität der räumlichen Tiefenwahrnehmung werden dabei reduziert.

Öfters zeigen sich auch hierbei typische Auffälligkeiten. Kunden deren Begleitauge nach außen abweicht, berichten uns z.B. von verstärkter Blendung oder Lichtempfindlichkeit. Dies weist auf eine Veränderung im sensorischen Adaptionssystem hin. Andere neuronale Verbindungen zur Tränendrüse bewirken bei Windzug oder bei Kälte, einen verstärkten Tränenfluss.

Unterschiedliche Fixierrichtungen der beiden Augen zueinander  werden in zunehmender Weise als WinkelfehIsichtigkeit bezeichnet. In der Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase (MKH) wird diese Winkelfehlsichtigkeit gemessen und durch prismatische Brillengläser korrigiert. Ziel ist ein zugleich scharfes und entspanntes Sehen. Im Idealfall entfallen die durch die motorische Kompensation und den sensorischen Angleich ausgelösten Sehanstrengungsbeschwerden.

Der Begriff „Winkelfehlsichtigkeit“ wurde 1993 in die optometrische Fachsprache eingeführt. Die fachlich korrekte Bezeichnung ist „Heterophorie“, und bedeutet ein latentes, also verborgenes, beziehungsweise kompensiertes Schielen. Die MKH (Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase) ist offiziell noch keine medizinisch anerkannte Methode, obwohl sie von einigen renommierten Augenärzten praktiziert wird. Das eigene Erleben, wie auch die über viele Jahre sehr positiv gewachsenen Erfahrungen mit unseren Kunden, bestärken uns darin, unsere Intention der MKH zu vertiefen.

 

Kinderoptometrie

Im Folgenden ein Auszug der Schweizer Selbsthilfegruppe:
www.Winkelfehlsichtigkeit.org

„Was ist mit unserem Kind los? Warum leidet es unter Migräne, warum versagt es in der Schule, ist dauernd müde, unkonzentriert und vergesslich?
 Warum hilft keine Therapie, keine Nachhilfestunden und kein gutes Zureden?
 Warum erweckt es den Eindruck, als hätte es Sehprobleme (ganz nahes Lesen, Kopfschiefhaltung etc.), obwohl nach Aussage des Augenarztes die Augen in Ordnung sind?

Muss ich mich als Erwachsener mit regelmäßigen Migräneanfällen, gereizten Augen und Müdigkeit abfinden? Warum kann ich am Abend nicht mehr lesen? Warum kostet mich das Lesen soviel Energie? Solche Fragen stellten wir uns immer wieder. Auch Ärzte und Therapeuten wussten nicht weiter, bis wir endlich auf ‚Winkelfehlsichtigkeit‘ stießen. […]

[…] Durch die Korrektion der Augen mit einer einfachen Prismenbrille lösten sich einige Problem wie von selbst, andere konnten mit neuer Energie angegangen werden. Die Lebensqualität der Betroffenen hat sich massiv verbessert und damit die Familiensituation entspannt.“

Winkelfehlsichtigkeit bei Kindern

Das Sehen unserer Urvorfahren war geprägt von verschiedenen Arbeiten im Nahbereich, und einem relativ entspannten Wald-Feld-Wiesenblick. Heute dagegen wird bereits Kindern visuelle Hochleistung abverlangt. Das Verknüpfen einzelner Buchstaben zu Wörtern und das bildhafte Begreifen von abstrakten Vorgängen ist komplex. Vermehrt werden in frühkindlichen Entwicklungsphasen dafür auch digitale Medien eingesetzt. Bei all diesen Aufgaben kommt der visuellen Wahrnehmung eine entscheidende Rolle zu.

Bei Winkelfehlsichtigkeit besitzen die beiden Augen in Ruhestellung unterschiedliche Fixierrichtungen. Das Gehirn setzt aufwendige Kompensationsmechanismen ein, um die Bilder der beiden Einzelaugen zu verschmelzen. Dieser visuelle Stress ist oft der Auslöser für eine Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie). Bei üblichen Augenglasbestimmungen wird das Thema Winkelfehlsichtigkeit häufig aus Unkenntnis vernachlässigt. Argumentiert wird etwa damit, dass die Augenmuskeln genügend eigene Kraftreserven haben, um diesem Konflikt auf natürliche Weise zu begegnen.

Ein Gedankenspiel: Patrick, ein vierzehnjähriger Junge, spielt mit Freuden Fußball und joggt gerne. Ein Bein ist bei ihm um einen Zentimeter verkürzt. Die unterschiedlichen Beinlängen verursachen eine einseitige Belastung der Wirbelsäule. Der anhaltende Rückenstress wird früher oder später Folgewirkungen zeigen. Ist es bei Patrick nicht am sinnvollsten, ihm eine Schuheinlage anzupassen, die die unterschiedlichen Beinlängen ausgleicht? Gleichartig ist die Argumentation bei Winkelfehlsichtigkeit. Bei deutlichen Auffälligkeiten ist es wirklich sinnvoll, der einseitigen Belastung entgegenzuwirken. Entspanntes Sehen gleicht einer entspannten Wirbelsäule. Zwar kann man lebenslang große Belastungen ausgleichen, doch bestehen Verspannungen oder Blockaden, werden zuerst Auffälligkeiten und später einschränkende Folgewirkungen sichtbar.

Oft signalisiert auch das Schriftbild von Kindern und Jugendlichen visuellen Stress, was im oberen Teil der Schriftprobe (siehe Bild) deutlich wahrnehmbar ist. Das Schriftbild im unteren Teil zeigt, wie der visuelle Stress durch eine prismenkorrigierende Brille entschärft wurde.

 

WAHRNEHMUNGSTESTS

Verschiedene Wahrnehmungstests geben erste wichtige Erkenntnisse, wie effizient die beiden Augen zusammenarbeiten: Ist die visuelle Wahrnehmung optimal oder besteht Sehstress?

Ein wichtiger ist der „Van Orden Stern“ (VO), ein Zeichentest, bei dem ein sternartiges Muster entsteht. Er zeigt in sehr anschaulicher Weise die Ergebnisse von visueller Wahrnehmung und motorischer Koordination.

Ein erfahrener Oberstudienrat, der sich intensiv mit Winkelfehlsichtigkeit auseinandergesetzt hat, sagte über diesen Test auf einem Kongress: „Anhand des ‚Van Orden Sterns‘ lässt sich schnell erahnen, ob ihr Kind in die Hauptschule oder auf das Gymnasium gehen wird.“

Der VO wird unter Verwendung eines Stereoskops gezeichnet. Dieser trennt die Seheindrücke beider Augen: Das rechte Auge sieht nur die rechte Hälfte der Zeichenvorlage, dementsprechend das linke Auge nur die linke Hälfte. Die Aufgabe besteht darin, zwei gegenüberliegende Symbole, die jeweils nur mit einem Auge erkannt werden, gleichzeitig mit einem Bleistiftstrich zu verbinden. Aus der Sicht des Zeichnenden treffen sich im Idealfall die Striche in der Mitte.

Anhand der Abweichungen lassen sich relativ leicht erste Rückschlüsse auf Eigenheiten des binokularen, also beidäugigen Sehens schließen:

  • Besteht überhaupt ein gleichzeitiges beidäugiges Sehen?
  • Welches Auge ist dominant?
  • Mit welcher Qualität arbeiten die beiden Augen, besonders in den zentralen Bereichen, zusammen?
  • Weicht das Begleitauge nach innen ab oder besteht eine Abweichung nach außen?
  • Zeigen die Zentren einen vertikalen Versatz? Dies ist ein Hinweis auf einen Höhenunterschied der beiden Augen zueinander.